Aprilia hat die Caponord-Baureihe um eine dritte Vertreterin namens Rally erweitert. Mit dieser 1200er kann es dann auch mal ins Gelände gehen.
Auffälligste Merkmale der Caponord 1200 Rally sind das um zwei Zoll auf 19 Zoll gewachsene Vorderrad, die Speichenräder und der prägnante Frontschutzbügel sowie die beiden Zusatz-LED-Scheinwerfer und der fehlende untere Spritzschutz am Hinterrad. Serienmäßig gibt’s außerdem Givi-Koffer im Alu-Look, einen Unterfahrschutz aus Palstik und Handprotektoren. Farblich abgestimmt auf den neuen Einsatzzweck wird der Familienzuwachs in den Lackierungen Dünengelb, Safarigrau und Armeegrün angeboten. Gleichzeitig ist die neue Aprilia auch ein höchst komfortabler Tourer.
Nach dem Grundmodell und der Caponord Travel Pack soll die Rally die Spitzenposition besetzen. Dafür blieb es nicht nur bei den äußeren Unterscheidungsmerkmalen, zu denen auch ein minimal verlängerter Radstand gehört. Eine leicht modifizierte Gabel und das spezielle Setting von ABS und der dreistufigen Traktionskontrolle sollen den Offroad-Ausritt ebenfalls erleichtern. So gelingt es auch weniger versierten Fahrern, mit erstaunlicher Leichtigkeit und sehr sicherem Gefühl über den Schotter oder durch den Wald zu fegen. Dafür bedient man sich auch gerne des „Rain“-Modus aus den drei hinterlegten Fahrprogrammen, der dank Ride-by-Wire-Technologie und um 20 Prozent gekappter Spitzenleistung keine hektischen Ausrutscher am Gasgriff zulässt.
Auch ansonsten darf man getrost viel der Elektronik überlassen. Die vierstufige elektronische Beladungs-Vorspannung der Federelemente bietet als fünften Punkt noch die Automatikfunktion, die sich den gerade herrschenden Bedingungen anpasst. Komfortabler als im dann noch vorgewählten „Touring“-Modus mit stets berechenbarer Leistungsentfaltung kann man wohl auf kaum einem anderen Motorrad dieser Kategorie unterwegs sein. Wer es noch ein bisschen spritziger mag, der bekommt im „Sport“-Betrieb im unteren und mittleren Drehzahlbereich eine etwas spontanere Gasannahme geliefert, ohne jedoch heftige Lastwechselreaktionen fürchten zu müssen.
Nicht unwesentlich zum Fahrvergnügen trägt auch der kernige Klang des Motors bei, der irgendwo zwischen Fauchen und Brüllen liegt. Die technischen Eckdaten sind die selben wie bei den anderen Caponord-Modellen. Der 1,2-Liter große 90-Grad-V2 liefert 92 kW / 125 PS bei 8000 Umdrehungen in der Minute und stemmt 115 Newtonmeter bei 6800 Touren auf die Kurbelwelle. Zwischen 2500 und 4500 U/min glänzt der Motor durch seinen sanften Lauf. Doch auch die Vibrationen bei höheren Drehzahlen halten sich in engen Grenzen. Keine Augenweide ist allerdings die Plexiglasblende, die den hinteren Zylinderkopf schützen soll. Ob die Rally wirklich so viel Stöckchen und Steine aufwirbelt, dass ernsthaft Gefahr besteht?
Wir wiederholen es immer wieder gerne: 125 PS sind für ein Motorrad mehr als ausreichend, auch wenn in diesem Fall 275 Kilogramm Fahrzeuggewicht (vollgetankt) zu schleppen sind. Während die Pfunde beim Fahren wie weggeblasen sind, spürt man sie beim Rangieren umso mehr, zumal der Schwerpunkt relativ weit oben liegt. Doch daran denkt man ohnehin beim Ausritt nicht. Vom sehr Komfortablen Fahrwerk war schon die Rede. Zudem begeistert die Aprilia Caponord 1200 Rally durch ihren fahraktiven Charakter. Das 19-Zoll-Vorderrad und das Gewicht der Maschine verlangen etwas Körpereinsatz. Dabei ist es erstaunlich, wie sich die Fuhre auch in immer enger werdende Kurvenradien mühelos hineinzieht. Die Serienbereifung mit Metzeler Touring Next flößt nahezu uneingeschränktes Vertrauen in den Grip der Caponord ein. Nur bei Bremsen in Schräglage ist ein spürbares Aufstellmoment zu registrieren. Während die Gabel mit guter Rückmeldung glänzt, lässt die Fußbremse kaum einen Druckpunkt spüren. Das ist aber nicht weiter schlimm, da der Hinterradstopper ohnehin sehr sanft eingreift.
Lob verdient die stufenlos verstellbare höhere Scheibe der Rally, die ihren Job vorbildlich erledigt. Es ist das erste Mal, dass wir verstanden haben, warum man ein Windschild am Motorrad auch weiter nach unten justieren kann – um sich mehr Fahrtwind zur Körperkühlung zuzuführen. Mit 840 Millimetern fällt die Sitzhöhe der „Nordkap“ recht moderat aus. Bei Bedarf gibt es auch noch eine niedrigere Bank. Uns störte allerdings ein wenig die Position des Seitenständers, bei dem wir im Stand mit dem linken Fuß oft direkt auf dem unteren Teller landeten. Einen Hauptständer liefert Aprilia als Zubehör.
Dass Aprilia der Rally serienmäßig zwar eine Geschwindigkeitsregelanlage spendiert, aber eine Warnblinkanlage ebenso weg lässt wie die Außentemperaturanzeige im Cockpit, verwundert dann doch ein wenig. Der Schalter dafür ist zwar schon vorgerüstet, aber die Heizgriffe selbst gehen ebenfalls extra. Das alles mag verschmerzbar sein, aber dringend nachsitzen muss Aprilia bei der extrem ungenauen Tankanzeige. Das angesichts eines 23,5-Liter-Fasses bereits nach 120 Kilometern nur noch ein Balken einsam und verlassen im Display steht, ist bei einem Kaufpreis von über 16 000 Euro gelinde gesagt eine Unverschämtheit.
Ansonsten darf an der Smartphone-fähigen Caponord mit der Aprilia-eigenen App weitergehender Informationshunger gestillt werden. Sie lässt den Fahrer auch stets wissen, wie weit er mit seiner Caponord im Augenblick gerade vom Nordkap entfernt ist. In diesem Sinne: Gentlemen, start the engine. Für die letzten Kilometer an Europas Nordzipfel ist die Rally schließlich wie gemacht – und für die Reise dorthin selbstverständlich auch. (ampnet/jri)
Daten Aprilia Caponord 1200 Rally
Motor: 90-Grad-V2, 1197 ccm, flüssigkeitsgekühlt
Leistung: 92 kW / 125 PS bei 8000 U/min
Max. Drehmoment: 115 Nm bei 6800 U/min
Höchstgeschwindigkeit: über 200 km/h
Getriebe: sechs Gänge
Antrieb: Kette
Tankinhalt: 23,5 Liter
Sitzhöhe: 840 mm
Gewicht: 275 kg (fahrbereit)
Bereifung: 120/70 R 19 (vorne), 170/60 R 17 (hinten)
Preis: 16.390 Euro